"Ein Gespräch?
Dann aber schnell."

Insider in diesem Beitrag:
Stellvertretende Delegationsleiterin Deutschland
  • Ilka Wagner
  • Stellv. Delegations­leiterin
  • Deutschland

Nun sag, wie hast du’s mit der Reduktion?

Die Klimaverhandlungen sind bei einer Gretchenfrage angekommen. Wie ernst ist es den Staaten damit, ihre Treibhausgase zu reduzieren? Ilka Wagner aus der deutschen Delegation verlangt einen Plan, wie die Reduktionsziele in Zukunft verschärft werden. Der Russe Oleg Shamanov dagegen findet: Unsere Ziele sind schon ehrgeizig genug.

Jetzt beginnt die Zeit, in der die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks mittags „Guten Morgen“ sagt. Sie gehört zu den Ministern, die am frühen Donnerstagmorgen ins Bett gekommen sind, als die ersten Delegierten schon wieder auf dem Weg zum Konferenzzentrum waren. Die Verhandlungen um den Klimavertrag von Paris gehen jetzt in die entscheidende Phase. Anders formuliert: Jetzt treffen die Kontrahenten an ihren jeweiligen roten Linien aufeinander und können sich in die Augen sehen.

Drei große Streitfragen

Der Vertrag ist von knapp 40 auf 14 Seiten gekürzt worden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Konflikte bereits gelöst wären. Sie sind jetzt vielmehr auf ihre Essenz reduziert. Die drei zentralen Streitpunkte:

  • Sind Länder wie Indien oder Südafrika bereit, sich genauso zum Klimaschutz zu bekennen wie die Industriestaaten, obwohl sie historisch viel weniger Verantwortung dafür tragen?
  • Werden die Länder aus dem Süden akzeptieren, sich bei der Reduktion ihrer Treibhausgase genauso kontrollieren zu lassen, wie sie das von den Ländern des Nordens verlangen?
  • Die Länder, die Geld zur Klimafinanzierung bereit stellen, wollen erst wissen, was damit passiert. Die Länder, die es bekommen sollen, wollen aber erst Zusagen machen, wenn sie wissen, wie viel sie wann bekommen. Wie wird dieser Teufelskreis durchbrochen?

Keine Zeit für Gespräche

"Wenn der Minister kommt, muss ich los."Ein Delegierter

Seit dem dramatischen Scheitern von Kopenhagen vor sechs Jahren haben die 195 Staaten Diskussionen vor sich hergeschoben. Sie stehen nun an. Das merkt man nicht nur daran, dass sich bei Barbara Hendricks Tages- und Nachtzeiten verschieben. Auf dem ganzen Gelände ist diese Anspannung zu spüren.

Wenn am Nachmittag ein neuer Vertragsentwurf veröffentlicht wird, bilden sich innerhalb weniger Minuten Grüppchen an Restauranttischen und analysieren den Vertrag. An den Computerterminals haben Menschen in dem einem Fenster den Vertragsentwurf aufgerufen und schreiben im anderen ihre Bewertung, um die Landsleute zuhause auf dem Laufenden zu halten. Die Delegierten, die in der ersten Woche noch entspannt Zeit hatten für ein Schwätzchen, sagen jetzt: Ein Gespräch? Dann aber schnell. Wenn der Minister kommt, muss ich los.

Marathon ohne Trainingsplan

Es ist Mittwoch früher Abend und zwei Männer sind unzufrieden. Der aktuelle Vertragsentwurf ist gerade drei Stunden im Umlauf und die beiden denken jeder für sich darüber nach, wie sie jetzt weitermachen sollen.

Der eine ist Hans Verolme. Der Berater ist nach Paris gekommen, um Delegationen aus Afrika und Asien dabei zu helfen, ein Abkommen auszuhandeln, das ihr Überleben sichert. Dafür braucht es wirkungsvollen Klimaschutz einerseits und finanzielle Unterstützung beim Umbau zu einer Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe andererseits. Der andere ist Oleg Shamanov, der Leiter der russischen Delegation. Er ist nach Paris gekommen, um Russlands Überleben zu sichern, indem er die fossilen Industrien schützt.

Dass die beiden bei der Bewertung dessen, was im Vertragsentwurf steht, zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist deshalb keine Überraschung. Am besten lässt sich das illustrieren an der Frage, wie der Klimaschutz der Zukunft aussehen soll. Zwei Punkte im Vertrag sind dafür relevant. Auf welche Obergrenze bei der maximalen Erderwärmung wird sich die Konferenz einigen? Und was nimmt sie sich vor, um dieses Ziel zu erreichen? Das eine ohne das andere zu beschließen wäre, als würde man sich zu einem Marathon anmelden, ohne darüber nachzudenken, wie oft man in der Woche zum Laufen gehen soll.

Eine Frage des Ehrgeizes

„Unsere Ziele
sind ehrgeizig genug.“Oleg Shamanov

Es sieht im Moment sehr danach aus, als würde die Zahl 1,5 als Grenze der maximalen Erderwärmung im Vertrag stehen bleiben. Aber was folgt daraus? Schon jetzt ist klar, dass bei den vorliegenden Plänen die Temperatur gegenüber der Mitte des 19. Jahrhunderts um bis zu 3 Grad steigen würde. Würden sich die Staaten auf 1,5 Grad einigen, müssten sie ihre Reduktionsziele sehr schnell verbessern. Hans Verolme ist der Meinung, dass dies von dem Moment an passieren muss, wenn der Vertrag beschlossen ist. Oleg Shamanov dagegen weigert sich im Namen Russlands, darüber überhaupt nur nachzudenken.

Was denkt Deutschland?

Am Donnerstag morgen steht Ilka Wagner, die stellvertretende Leiterin der deutschen Delegation, relativ entspannt auf der Straße zwischen den Konferenzhallen. Im Gegensatz zu ihrer Ministerin war sie in der vorhergehenden Nacht um Mitternacht im Bett. Die deutsche Delegation schickt sich nach einem genau abgestimmten Plan gegenseitig ins Hotel. Wer muss wann fit sein, wer kann wann schlafen? Sie gehörte in dieser Nacht zu denjenigen, die früher Schluss machen durften. Dass bei einer solch entscheidenden Frage die verschiedenen Positionen nun aufeinander stoßen, beunruhigt sie kein bisschen. Im Gegenteil: Das müsse so sein, sagt sie. Denn nur so kämen die Dinge in Bewegung.

Aus gemeinsamen Standards folgt gemeinsames Handeln

Deutschland wird bis zum Schluss dieser Konferenz dafür kämpfen, dass sich die Weltgemeinschaft auf einen verbindlichen Zeitplan einigt. Schon vor 2020 sollen sich die Staaten treffen, um ihre gemachten Zusagen zu überprüfen. Bald danach soll ein gemeinsames Überprüfungssystem installiert werden, das sicherstellt, dass man die Einsparungen in Indien und Deutschland miteinander vergleichen kann. Denn nur wenn gemeinsame Standards gelten, lässt sich auch gemeinsam handeln. Einer der Knackpunkte dieser Konferenz ist, ob das in Zukunft auch tatsächlich alle wollen.

Zum Beitrag auf Tagesschau.de

Kai Schächtele
Video: Philipp Katzer

Ein Kommentar zu
Nun sag, wie hast du’s mit der Reduktion?
  • Martin Schinke schreibt:

    Mit geringen Einschränkungen kann der „Normalbürger“ heute schon p r o b l e m l o s ! auf Minus 30 % bis Minus 50 % persönliche CO2-Reduktion kommen – die meisten haben jedoch keine Lust auf Einschränkungen und Mehrkosten:
    – guter Ökostrom
    – Klimaneutrale Heizung & gute Dämmung: Wärmepumpe mit EE, Holz(pellets)Heizung, Solarhermie
    – E-Auto mit Ökostrom & ÖPNV
    – Verzicht auf Flugreisen oder großzügige Kompensation (Atmosfair u.a)
    – repariert, gebraucht und langlebig – bei Konsumgütern
    – bio, vegetarisch, regional und/oder vegane Ernährung – möglichst fair
    – Beeiligung an Eneuerbare Energien-Anlagen
    – Divestment bzw. Geldanlage in Erneuerbaren Energien
    – Solaranlage auf dem Dach, wenn möglich
    – Klimabilanz erstellen: https://www.ecospeed.ch/private/de/

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