- Ilka Wagner
- Deutschland
- Stellv. Delegationsleiterin
- Länderanalyse CORRECT!V
Land: Deutschland
Funktion: Stellvertretende Delegationsleiterin
Die Aufgabe
Ilka Wagner ist die Frau, die in der knapp 100 Mitglieder großen deutschen Delegation die Fäden in der Hand hält. Ihre Aufgaben: Sie koordiniert und führt die Gespräche mit anderen Delegationen. Sie unterstützt ihre Chefin, die gemeinsam mit ihrem britischen Kollegen und einem Vertreter der EU-Kommission als Chefverhandlerin für die EU agiert. Und sie organisiert den Informationsfluss innerhalb der Delegation. Jeden Tag um acht Uhr trifft sich die deutsche Delegation zur Lagebesprechung. Die 44-Jährige zählt es auch zu ihren Aufgaben, am Morgen mal für einen Lacher zu sorgen, wenn die Delegierten gerade gegen Ende geschlaucht und müde vor ihr sitzen. Sie versteht sich auch als Beauftragte für gutes Klima in der deutschen Delegation.
"Die Verhandlungen erinnern mich an meine WG-Zeit."Ilka Wagner
Seit 2006 ist Wagner, die in Münster und Freiburg Geschichte und Politikwissenschaft studiert hat, im Bundesumweltministerium für internationale Klimapolitik zuständig. Ihre größte Herausforderung: das Bezähmen ihrer Ungeduld. Bei den Verhandlungen, sagt sie, fühle sie sich manchmal an ihre WG-Zeiten erinnert. „Da haben fünf, sechs Leute darüber diskutiert, wer den Abwasch macht – das kann wahnsinnig lange dauern und sehr umständlich sein. Hier geht es mit 195 Staaten um Grundsatzfragen, die nicht nur die Umweltpolitik berühren, sondern auch die Wirtschafts-, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik. Wenn man dann noch berücksichtigt, wie unterschiedlich die Länder und die Mentalitäten sind, kann man sich ziemlich gut erklären, dass es eben auch oft mal länger dauert.“
Was Wagner hilft, gelassen zu bleiben, ist die Freude darüber, sich mit der ganzen Welt auszutauschen. „Ich reise seit neun Jahren zu jedem Klimagipfel und bin auch bei den Vorverhandlungen dabei. Die Delegierten aus anderen Ländern wiederzusehen, sich auszutauschen und so besser zu verstehen, wie der andere denkt, gehört zu den schönsten und interessantesten Aspekten meines Berufs.“ Mitunter ist es für die Delegierten einfacher, sich mit Kollegen aus anderen Ländern zu verständigen als die Verhandlungsergebnisse zuhause durchzusetzen. Ilka Wagner geht es da nicht anders.
Die Situation zuhause
Deutschland tritt in Paris nicht als eigenständiger Verhandler auf, sondern als Teil der EU. Damit dies möglich ist, wurde in den Vertragstext extra die Formulierung „regional economic integration organisations“ aufgenommen. Innerhalb dieser 28 Staaten umfassenden Organisation nimmt Deutschland aber eine Führungsrolle ein. Einem gemeinsamen Beschluss folgend hat die EU angekündigt, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren zu wollen. Das Mutterland der Energiewende und des Atomausstiegs sieht sich dabei als Vorreiter bei den erneuerbaren Energien und will bis in 20 Jahren rund 60 Prozent der Energie aus Sonne und Wind beziehen.
Die Blockade der Energie-Eliten
Andererseits blockiert die nach wie vor starke Kohle-Lobby viele Fortschritte. Zuletzt haben Kraftwerksbetreiber, die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie und die Ministerpräsidenten aus den Kohle-Bundesländern die geplante Kohlabgabe zur Besteuerung von Kohlekraftwerken abgeräumt. Nach Angaben von Umweltschutzverbänden bauen oder planen Energieunternehmen im Moment 13 neue Kohlekraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß auf Jahrzehnte. Auch innerhalb der EU muss Deutschland widersprüchliche Interessen unter einen Hut bringen. So hat es den Handel mit Emissionszertifikaten von Beginn an befürwortet, dann aber durchgesetzt, diese Zertifikate günstig oder kostenlos an fast alle Industrien auszugeben. Gleichzeitig muss das Land auf Länder wie Polen Rücksicht nehmen, das darauf dringt, den Energiebedarf auch in Zukunft mit Kohle decken zu können.
Fazit
Ilka Wagner und die deutsche Delegation stecken in Paris in einer schwierigen Situation. Deutschland ist in der Energiewende deutlich weiter als andere Länder und könnte so zum Modell für den Wandel zu einer CO2-freien Wirtschaft werden – wenn sie gelingt. Doch dafür müsste sich die Bundesregierung konsequent von den alten Energie-Eliten lösen. Und das ist bislang nicht gelungen. Auf dem Verhandlungsparkett werden die Delegierten deshalb für vergleichsweise ehrgeizige Ziele kämpfen, gleichzeitig aber gleichermaßen die Energie- wie Industrielobby zuhause wie die Interessen der anderen EU-Länder im Auge behalten. Ihre Rolle als Motor der Transformation werden sie so nach Überzeugung vieler NGO-Beobachter wohl nur mit gedrosselter Leistung ausfüllen können. Wagner aber ist ohnehin überzeugt, dass das Abkommen von Paris nur der Anfang einer Entwicklung sein kann. „Selbst der beste Vertrag wird die Welt nicht sofort verändern. Aber er kann Veränderungen in den Ländern anschieben.“
Text: Kai Schächtele
Audio: Nina Zimmermann
Recherche: Annika Joeres, CORRECT!V
Erklärtes Verhandlungsziel
ein ambitioniertes Abkommen, das die alte Trennung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufhebt
Problem
die Energielobby im eigenen Land und die Interessen anderer EU-Staaten
Bevölkerungszahl im Jahr 2014
80,9 Millionen
Bevölkerungswachstum bis 2050:
- 14,1 Prozent
Wirtschaftsleistung pro Kopf:
41 955 US-Dollar
Wichtigste Industrie:
Automobil
Rang im Wohlstandsindex der UN
Platz 6
CO2-Fußabdruck:
10,2 Tonnen pro Kopf und Jahr
Rang im Weltklimaindex von Germanwatch
Platz 22 („Mäßige Performance“)