"Druck? Nein, Unterstützung."

Insider in diesem Beitrag:
Stellvertretende Delegationsleiterin Deutschland
  • Ilka Wagner
  • Stellv. Delegations­leiterin
  • Deutschland

Rückenwind aus Worten

Der Klimagipfel von Paris beginnt mit einem noch nie zuvor da gewesenen Aufmarsch von Staatenlenkern. Eine Delegierte aus Deutschland, die Strategin eines amerikanischen Thinktanks und ein Berater aus Bangladesch erleben diesen Tag auf sehr unterschiedliche Weise. 

Während ihre Umweltministerin auf dem Podium des deutschen Pavillons gerade den Journalisten die Ziele Deutschlands für diesen Gipfel erläutert, sitzt Ilka Wagner am anderen Ende des Raums und liest ihre Emails. Es ist nicht so, dass sich die stellvertretende Leiterin der deutschen Delegation nicht dafür interessierte, wenn Barbara Hendricks darüber spricht, wie viel Geld Deutschland künftig den Entwicklungsländern zur Verfügung stellen möchte oder wie aus dem Abkommen ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag werden kann. Es ist vielmehr der einzige Weg, hier ihren Job zu machen.

Die 44-Jährige hat die Aufgabe, den Informationsfluss zu steuern. Treffen im blauen Raum im EU-Pavillon, Koordinationsmeeting in einer halben Stunde, die Strategie für die nächste Verhandlungsrunde. Bis zu 150 Emails landen an Konferenztagen täglich in ihrem Postfach. Um diese Flut aus Information in die richtigen Kanäle abzuleiten, müssen Augen und Ohren parallel arbeiten. Nie die Kontrolle über ihr Postfach zu verlieren – das hat sie sich in den vergangenen Jahren gelernt.

Ihre Themen: Es sind die, die in den kommenden zwei Wochen auch die Nachrichten bestimmen werden. Wagner sitzt in mehreren Verhandlungsgremien. Deren Essenz wird am Ende in den Vertrag münden. Es ist Tag eins auf diesem Gipfel und es scheint, als sei schon morgens um acht ein Großteil der angemeldeten 40 000 Menschen eingetroffen, Delegierte, Vertreter aus der Zivilgesellschaft, Journalisten. Sie verteilen sich auf sechs Messehallen. Viele Länder haben ihre eigenen Pavillons aufgebaut. Die Inder haben eine schicke Wasserinstallation, über den USA hängt eine leuchtende Erde und bei den Deutschen gibt es den besten Kaffee. Es ist eine Atmosphäre wie auf einer Funkausstellung. Der große Unterschied ist, dass die Kaffeebecher aus hundert Prozent abbaubarem Plastik gemacht sind, zumindest bei den Deutschen.

Viel ist im Vorfeld über diesen ersten Tag gesprochen worden. Über 150 Staats- und Regierungschefs sind eigens angereist, um jeweils eine zehnminütige Reden zu halten und ein Scheitern wie beim Gipfel 2009 in Kopenhagen für ausgeschlossen zu erklären. Als würde man einen Flirt beginnen, bei dem schon zu Beginn feststeht, dass am Ende eine Hochzeit stehen muss. Verschafft das Rückenwind? Oder baut das noch mehr Druck auf?

Von ihren Reden, so heißt es, hänge ab, in welcher Stimmung die Delegierten in die folgenden Verhandlungstage gehen. Für Ilka Wagner beginnen nun die zwei Wochen, auf die sie sich vorbereitet hat, seit die 196 Länderdelegationen vor vier Jahren in Durban den Auftrag bekommen haben, einen Vertragsentwurf vorzubereiten. Was wird ihr die Kanzlerin jetzt mit auf den Weg geben? Bis zu den zehn Minuten von Angela Merkel dauert es noch fünf Stunden.

"Endlich macht mein Land etwas"

Für Jennifer Morgan, Strategin des Washingtoner Thinktanks „World Resources Institute“, ist dieser Tag mindestens so außergewöhnlich. Seit zwanzig Jahren engagiert sich die 49-Jährige dafür, dass sich die Machtverhältnisse in der Welt verschieben. Sie empfindet es als ungerecht, wie Macht und Reichtum verteilt sind. Doch sie weiß, dass die mächtigsten Verteidiger dieser Ordnung in den USA sitzen. Nach ihrer Hoffnung soll dieser Gipfel den Anfang vom Ende ihrer Macht markieren. In den vergangenen eineinhalb Jahren ist sie um die Welt gereist, um einen Vertrag zu propagieren, der den Weg freilegen soll in eine Weltwirtschaft ohne Kohlenstoff-Emissionen.

Morgan ist bei der BBC zu Gast. Die Briten haben in Halle 2 Fernsehkameras für Live-Schalten nach Hause aufgebaut, zwischen unzähligen weiteren Fernsehteams. Beinahe minütlich schalten Korrespondenten von hier aus in ihre Heimatländer. Besonders groß ist der Betrieb bei der Rede des US-Präsidenten Barack Obama. Morgan ist hier, um die Reden von Merkel, Putin und Obama fürs britische Fernsehen zu kommentieren. Sie hat hohe Erwartungen. Obama soll nicht weniger als eine Wende anmoderieren. Zehn Minuten später ist Morgan begeistert. Noch nie zuvor, sagt sie, habe sich ein amerikanischer Präsident derart offensiv für den Klimaschutz ausgesprochen.

Fünf Redner nach Obama ist Merkel an der Reihe. Ihrer hohen Funktion zum Trotz hat Ilka Wagner keinen Zutritt zum Plenarsaal. Bei 40 000 Menschen auf dem Gelände ist das Management der Platzressourcen beinahe so kompliziert wie die Verhandlungen um den neuen Vertrag. Wer wann in welchen Raum darf, ist eine Frage von Status und rechtzeitiger Anmeldung. Für Deutschland gab es insgesamt nur fünf Zugangsberechtigungen.

Ilka Wagner sieht sich die Rede der Kanzlerin deshalb im deutschen Pavillon an, bei einer Art Public Viewing. Um viertel vor zwei weiß Wagner, dass ihre Kanzlerin geliefert hat. Mit Nachdruck hat sie die Welt dazu aufgerufen, ein umfassendes und verbindliches Klimaschutzabkommen zu verabschieden. Dazu gehöre, dass die Staaten alle fünf Jahre ihre Klimaschutz-Ziele überprüfen sollen. Die Inhalte von Merkels Rede entsprechen genau dem, woran Wagner seit vier Jahren arbeitet.

Im Laufe des Tages legt sich der Trubel. 142 Staatenlenker stehen auf der Rednerliste. In den Plenarsälen „La Seine“ und „La Loire“ werden mehr und mehr Plätze frei. Delegierte treffen sich zum Mittagessen in den Konferenz-Restaurants. In Pressekonferenzen erklären der indische Ministerpräsident Narendra Modi hier und Justin P. J. Trudeau, der neu gewählte Regierungschef aus Kanada, dort ihre Positionen. In Halle 4, dort, wo die NGOs ihre Stände aufgebaut haben, die sich gegen die glamourösen Länder-Pavillion zum Teil ausnehmen wie die Bretterbuden, sitzt ein Mann, der sich für die große Politik nicht interessiert.

Es ist Saleem ul Huq, ein Mann, der nach Paris gekommen ist, um seine Heimat Bangladesch vor dem Untergang zu retten. Auf einen runden Tisch hat er ein Plastikschild gestellt. Seit zwanzig Jahren betreibt der Biologie-Professor aus Bangladesch Klimadiplomatie. Jeden Gipfel beginnt er mit dem gleichen Ritual. Er bezieht einen Tisch und stellt darauf ein Plastikschild mit der eingravierten Aufschrift „Saleem´s mobile office“. In den kommenden zwei Wochen wird er von hier aus versuchen, der Politik der Großen seine Agenda entgegenzuhalten. „Ich habe solche Reden schon so oft gehört“, sagt er. „Jetzt geht es daran zu arbeiten.“

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Kai Schächtele
VJs: Hanna Halfon, Babette Hnup
Fotograf: Christian Frey