"Ein Wort muss auch am nächsten Tag gelten."

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Die Vertrauensfrage

Jetzt beginnt die Zeit der Kompromisse. Die schwächsten Länder brauchen finanzielle Unterstützung, wenn sie ihre Klimaschutz-Ziele erreichen wollen. Bubu Jallow aus Gambia ist einer ihrer Chefverhandler. Er muss den Industriestaaten klar machen, dass sie gerade mit dem Vertrauen derer spielen, die am dringendsten Hilfe brauchen.

Bubu Jallow ist müde und das ist kein Wunder. Der Verhandlungsführer der am wenigsten entwickelten Länder, der„least developed countries“ (LDCs), muss in Paris die Arbeit machen, die sich bei anderen Ländern fünf Delegierte aufteilen. Jallow stammt aus Gambia. Sein Land hat 20 Delegierte nach Paris geschickt. Aus Deutschland zum Beispiel sind knapp 100 angereist. In einer Verhandlungsgruppe saß er in der ersten Woche neben Frankreich. Alle drei, vier Stunden nahm ein neuer Verhandler neben ihm Platz. Er blieb die ganze Zeit sitzen. Der 66-Jährige hat eine große Aufgabe und dafür beißt er die Zähne zusammen. Er muss den Vertretern der Industriestaaten klar machen, dass sie mit dem Vertrauen der Entwicklungsländer spielen.

Es ist der Beginn der zweiten Woche auf diesem Klimagipfel. Am Samstag haben die Verhandler den Vertragsentwurf an den Präsidenten des Gipfels, Laurent Fabius, übergeben. Von nun an müssen die Minister Lösungen finden für die Probleme, die nur auf höchster Ebene entschieden werden können. Dazu gehört wesentlich die Frage: Wie viel Geld werden die Industriestaaten bereit stellen, um den ärmeren Ländern dabei zu helfen, ihre Treibhausgase zu reduzieren und sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen?

Eine Frage der Interpretation

Die Stromproduktion von Kohle auf Sonne umzustellen ist teuer, genauso wie Landwirte mit klimaresistentem Saatgut zu versorgen. Ab 2020 sollen für die Maßnahmen der Klimafinanzierung 100 Milliarden Dollar pro Jahr bereitstehen. So ist es seit der Klimakonferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 versprochen. Doch wer zahlt wie viel in diesen Topf? Und wer trifft die Unterscheidung, ob das Geld tatsächlich eigens für Klimafinanzierung bereit gestellt wird oder ein Staat nicht einfach Mittel umetikettiert, die bislang zum Beispiel für Entwicklungshilfe ausgegeben wurden?

Bubu Jallow beschäftigt sich schon lange mit dem Klimawandel: in den 90er-Jahren als Klimawissenschaftler, seit 2000 auch als Delegierter bei den Gipfeln. Bereits in der Klimarahmenkonvention von 1992 ist festgehalten, dass zur Klimafinanzierung nur Mittel gezählt werden dürfen, die extra dafür zusammengetragen werden. Doch seitdem gibt es darüber regelmäßig Streit. Die Kriterien dafür, was Klimafinanzierung ist und was nicht, entwickeln sich zwar stetig weiter. Aber nach wie vor ist das auch eine Frage der eigenen Interpretation.

„Darüber sollten wir hier nicht sprechen“

Im Oktober veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie. Die französische Präsidentschaft hatte sie vorangetrieben, um beim Gipfel über konkrete Zahlen sprechen zu können. Ergebnis: Von den 100 Milliarden Dollar, die ab 2020 zur Verfügung stehen sollen, sind 62 bereits zusammen gekommen. Für Bubu Jallow ist die allerdings keine Gesprächsgrundlage. Denn niemand könne ihm sagen, wie die OECD auf diese Summe gekommen sei.

Beginn der Wenn-Dann-Saison

Bei den Verhandlungen in der zweiten Gipfelwoche werden die Finanzierungsfragen noch für viele Kontroversen sorgen. Denn an ihnen hängt die gesamte Konstruktion des Vertrags. Die ärmsten Länder machen ihre Reduktionsziele davon abhängig, dass die Industriestaaten verlässlich und planbar finanzielle Unterstützung versprechen. So wird die eine Seite immer auf die andere zeigen und verbindliche Zusagen fordern. Und umgekehrt. Jetzt beginnt die Wenn-Dann-Saison.

Deutschland hat im Mai angekündigt, seinen Anteil bis 2020 gegenüber 2014 auf vier Milliarden Euro zu verdoppeln. Die Bundesregierung hofft, dass weitere sechs Milliarden durch Entwicklungsbanken und private Investitionen ausgelöst werden. Das soll ein wesentliches Prinzip dieses Vertrags werden. Im Textentwurf ist davon die Rede, ab 2020 würden 100 Milliarden„mobilisiert“. Das bedeutet: Aus öffentlichen Mitteln kommt nur ein Teil des Geldes, das – wenn es fließt – weitere Investitionen locken soll. Doch inwieweit sich heute prognostizieren lässt, wie viel Geld in Zukunft angelockt werden wird – auch das ist ein Streitpunkt.

Eine "Konvention des Vertrauens"

"Es herrscht viel Misstrauen."Pieter Pauw, DIE

Je nach Sicht- und Berechnungsweise sind deshalb unterschiedliche Zahlen im Umlauf. Nach den Berechnungen der Bundesregierung sollen mit allen in Paris gemachten Zusagen der Geber-Länder ab 2020 über 90 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam kommt dagegen auf 82. „Es herrscht viel Misstrauen“, sagt Pieter Pauw vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. „Letztlich war das ein Verhandlungstrick, um so zu tun, als ob viel mehr Geld zusammen käme als die Industriestaaten eigentlich anbieten wollen. Und solange es unklar bleibt, kann auch nicht kontrolliert werden, ob das Ziel erreicht wurde.“

Bubu Jallow hat schon unzählige solcher Diskussionen geführt. Er hat oft genug erlebt, dass das Wort des einen Tages am nächsten schon nicht mehr gilt. Er hat deshalb schon vor zehn Jahren gefordert, dass die Klimarahmenkonvention um eine weitere ergänzt wird. Er nennt sie: die Konvention des Vertrauens.

Das Fundament des Abkommens

"Wir brauchen Know-how, Technologien und Geld."Pa Ousman Jarju, Gambischer Umweltminister

Die Länder des Südens werden keinem Abkommen zustimmen, dem es an Vertrauen mangelt. Es ist das Fundament, auf dem der neue Vertrag aufgebaut ist. „Wir können unsere Klimaschutz-Ziele nur erreichen, wenn wir dafür das Know-how, die Technologien und genügend finanzielle Mittel zur Verfügung haben“, sagt Jallows Umweltminister Pa Ousman Jarju. Ohne diese Basis blieben alle Beschlüsse wertlos. Die Internationale Energieagentur hat errechnet, dass allein der Umbau des Energiesektors bis 2035 weltweit die astronomische Summe von 16,5 Billionen Dollar kosten wird. Die 100 Milliarden pro Jahr sind deshalb nur der erste Schritt. Doch für Bubu Jallow und die Länder, die er vertritt, ist es der entscheidende.

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Text: Kai Schächtele
Video: Max von Klitzing, Philipp Katzer
Foto: Christian Frey