Susheel Kumar, Indien

Susheel Kumar

Land: Indien
Funktion: Delegierter

Die Aufgabe

Der studierte Physiker spricht mit der Ruhe eines Mannes, der davon überzeugt ist, dass politische Entscheidungen immer nur der Anfang sind. Nur wenn der technologische Fortschritt Möglichkeiten bereit stellt, den Energiehunger der Menschheit mit sauberen Methoden zu stillen, kann die Transformation der Weltwirtschaft nach seiner Überzeugung gelingen. Kumar ist sich sicher, dass dies geschehen wird. Als Mitarbeiter im Rang eines Staatssekretärs im Ministerium für Klimawandel, Umwelt und Wald koordiniert er ein Netzwerk wissenschaftlicher Institutionen, das sich gleichermaßen dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Land verpflichtet fühlt wie dem Strombedarf ihrer Landsleute: Trotz des rasanten Wachstum des Landes leben immer noch 300 Millionen Inder ohne Zugang zu Elektrizität. „Die haben für uns offensichtlich Priorität“, sagt Kumar.

 

Die Versuchsordnung eines Wissenschaftlers

Für Paris hat Kumar seine Argumente wie in einer Versuchsordnung aufgebaut: Indien leistet einen fairen Anteil beim Klimaschutz. Es ist nicht die Aufgabe Indiens, die Ziele der anderen Länder zu kommentieren. Aber wenn NGOs darauf verweisen, dass die Industriestaaten ihre Ambitionen noch steigern müssen, sieht Indien keinen Anlass zu widersprechen. So delegiert er die Verantwortung für den Kampf gegen den Klimawandel in den kommenden Jahren an die Länder, die dazu aus seiner Sicht auch verpflichtet sind. So wahrt der Mann die Contenance, der sich zum Ende jedes Verhandlungstags seine Schiebermütze aufsetzt, den Schal um den Hals legt und, nach einem Schwätzchen mit den Kollegen an den umliegenden Tischen (Indien sitzt zwischen Indonesien und Island, die Malediven sind auch nicht weit), mit seiner schwarzen Aktentasche davon spaziert.

Die Situation zuhause

In den Klimaschutzzielen, die das Land Anfang Oktober eingereicht hat, bildet sich Kumars Agenda unmittelbar ab: Bis 2030 will das Land zwar 33 bis 35 Prozent seiner Emissionen gegenüber 2005 einsparen, aber nur m Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt. Das bedeutet: Wächst die Wirtschaft weiter, ist es möglich, dass die Emissionen zwar relativ zurückgehen, absolut aber weiter steigen. Wenn Indien sein derzeitiges Wirtschaftswachstum beibehält, könnte sich der CO2-Ausstoß bis 2030 gegenüber heute verdreifachen.

 

„Leuchtender Punkt auf der Landkarte“

Indien ist die siebtgrößte Wirtschaftsnation der Welt und eines der am schnellsten wachsenden Entwicklungsländer. Der IWF etwa sagt: „Die indische Wirtschaft ist im Moment der leuchtende Punkt auf der globalen Landkarte.“ In den kommenden Jahren werden etwa 100 Millionen junge Inderinnen und Inder auf den Arbeitsmarkt kommen. Indien nimmt für sich deshalb das Recht in Anspruch, rapide zu wachsen und seinen CO2 -Ausstoß zu erhöhen. Einerseits soll der Anteil der Erneuerbaren im Jahr 2030 einen Anteil von 40 Prozent ausmachen. Anderseits wird Indien aber auch seinen Braunkohle-Konsum drastisch steigern. In den vergangenen sechs Monaten hat das Land so viele Kohle-Minen bewilligt, dass bis 2020 jeden Monat eine neue eröffnet werden wird. Und der Präsident Pranab Mukherjee hat angekündigt, dass das Land in den kommenden Jahren Kohlekraftwerke mit einem Gesamtleistung von 400 Gigawatt bauen wird. Nur langsam macht sich in der indischen Bevölkerung die Sorge  um den Klimawandel breit: Zuletzt hat die Hitzewelle von Mai 2015 mit 2000 Toten die Öffentlichkeit für den Klimawandel sensibilisiert. In Neu-Delhi ist die Luftverschmutzung so hoch, dass laut Greenpeace die Lunge eines zehnjährigen Kindes aussieht wie die eines starken Rauchers.

Fazit

So diplomatisch er in der Öffentlichkeit auftritt: In den geheimen Verhandlungen wird Kumar alles daran setzen, die Industrieländer in die Pflicht zu nehmen. Greenpeace zählt Indien zu den drei schwierigsten Verhandlungspartnern neben Saudi-Arabien und Russland. Er weiß: Viele seiner Landsleute sind der Ansicht, dass erst die Menschen in den Industriestaaten ihre Lebensgewohnheiten verändern müssen, bevor sie von den Schwellenländern dieselben Veränderungen fordern dürfen. Diese Haltung wird allen Argumenten der indischen Delegation zugrunde liegen.

 

Kai Schächtele
Recherche: Annika Joeres, CORRECT!V

Erklärtes Verhandlungsziel:

die Industrieländer in ihre historische Pflicht zu nehmen

Problem:

Die Industrieländer werden Indien dazu drängen, schon jetzt in den Klimaschutz miteinzusteigen

Bevölkerung aktuell:

1,3 Milliarden

Bevölkerungsentwicklung bis 250:

+30,8 Prozent

Wirtschaftsleistung pro Kopf:

1 808 US-Dollar

Wichtigste Industrie:

Landwirtschaft

Rang im Wohlstandsindex der UN:

Platz 135

CO2-Fußabdruck:

1,6 Tonnen pro Kopf und Jahr

Rang im Weltklimaindex von Germanwatch:

Platz 31 („Mäßige Performance")

Die anderen Insider
  • Stellvertretende Delegationsleiterin Deutschland
  • Ilka Wagner
  • Deutschland
  • Stellv. Delegations­leiterin
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