"Es fehlt der
politische Wille"

Insider in diesem Beitrag:
Stellvertretende Delegationsleiterin Deutschland
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Der Feldzug des Saleemul Huq

Der Biologe Saleemul Huq hat die Auswirkungen des Klimawandels direkt vor der Haustür. Er stammt aus dem Süden von Bangladesch, wo Stürme und der ansteigende Meeresspiegel die Lebensgrundlagen seiner Landsleute zerstören. In Paris kämpft er dafür, diese Entwicklung zu stoppen. Das Symbol dafür sind zwei Ziffern. 

Als Saleemul Huq 1995 zu seiner ersten Klimakonferenz reist, ist er noch überzeugt, er könnte die Welt retten. Er ist ein Biologe von 43 Jahren und lebt in London. Der Erd-Gipfel von Rio de Janeiro, zu Ende gegangen mit dem Bekenntnis zur Reduzierung der Treibhausgase, ist gerade drei Jahre her. Die Auswirkungen des Klimawandels sind noch die Vision von einer Zukunft, die es zu verhindern gilt. In der Welt des Saleemul Huq ist diese Vision inzwischen ernste Wirklichkeit geworden.

Der heute 63-Jährige stammt aus dem Süden Bangladeschs. Dort, wo schwere Stürme Menschen töten und das ansteigende Meer Salzwasser in die Flüsse treibt, so dass Bauern ihre Äcker nicht mehr wässern können. Der klein gewachsene Mann mit dem scharfen Seitenscheitel ist nach Paris gekommen, um ein letztes Mal zu versuchen, die Welt zum Einlenken zu bewegen. Er ist sich sicher: Schafft er es hier nicht, schafft er es gar nicht mehr. Und ob er es schafft, hängt für ihn wesentlich von der Entscheidung für eine von zwei Zahlen ab: 2 oder 1,5.

Ein politischer Kompromiss

Die Ziffern sind das stärkste Symbol für das, was der Vertrag von Paris liefern soll. Sie markieren die maximale Erwärmung gegenüber dem Niveau der Industrialisierung zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Verabredung zum sogenannten Zwei-Grad-Ziel soll die Weltgemeinschaft sogenannte Kippelemente verhindern, die zu unabsehbaren und teils unumkehrbaren Konsequenzen für das Klima auf der Erde führen könnten. Doch dieser Wert ist weniger das Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse. Er ist ein bislang gültiger politischer Kompromiss.

Auf der einen Seite stehen Länder, die so viel CO2 produzieren, dass sie einen anderen Wert als Eingriff in ihre nationale Souveränität begreifen würden. Auf der anderen Seite Länder wie Bangladesch oder Inselstaaten wie die Malediven, für die eine Erwärmung um zwei Grad das Ende ihrer Existenz bedeuten könnten. Auf zwei Grad konnten sich bislang alle Staaten gerade so einigen. Doch gleich zu Beginn der Verhandlungen in Paris ist ein Streit um dieses Ziel entbrannt. Gerade die kleinen Inselstaaten, die zu versinken drohen, wehren sich hier vehement gegen diesen Kompromiss. Es ist eine der entscheidenden Debatten auf dem Weg zu einer Einigung. Der Vertrag könnte daran scheitern. Auch Saleemul Huq hat sich vorgenommen, den Kampf bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.

Der Unterschied eines halben Grades

"Am Ende soll im Vertrag nicht 2 Grad stehen, sondern 1,5 Grad."Saleemul Huq

Huq will erreichen, dass im Vertrag am Ende nicht 2 steht, sondern 1,5. Dann nämlich würden sich alle 195 Staaten dazu bekennen, die maximale Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Der heutige Direktor des „International Centre for Climate Change and Development“ mit Sitz in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka kann sehr genau erläutern, welch riesige Differenz nach seiner Interpretation in einem halben Grad Unterschied liegt. Mit der Festlegung auf 2 Grad würde die Welt den Menschen in seiner Heimat ins Gesicht sagen, und nicht nur ihnen: Um euch werden wir uns in Zukunft leider nicht mehr kümmern können.

Die Geschichte eines Kompromisses

Um zu verstehen, warum in diesen beiden Zahlen eine so große Symbolkraft liegt, muss man ihre Geschichte kennen. Bereits 1995 empfiehlt ein von der Bundesregierung eingesetztes Expertengremium, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. In einem Papier der Klimagipfel-Diplomatie tauchen die zwei Grad zum ersten Mal vor sechs Jahren auf. Am Ende der Konferenz von Kopenhagen 2009 vereinbaren die Delegierten im sogenannten „Copenhagen Accord“: Die Erderwärmung darf zwei Grad nicht übersteigen. Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der auch die Klimawissenschaft das Limit noch für eine brauchbare Schwelle hält. Zur Einigung gehört aber auch, ein Gremium einzusetzen, das diesen Beschluss zwischen 2013 und 2015 noch einmal überprüfen soll.

Im Juni dieses Jahres veröffentlicht ein beauftragtes Wissenschaftsgremium das Ergebnis seiner Analyse. Das Ergebnis: 2 Grad sind die Obergrenze. Man möge sie als die äußerste Verteidigungslinie betrachten. 1,5 Grad kämen näher an das, was die Welt als Leitplanke für die Erwärmung begreifen sollte. Nahrungsmittelsicherheit und die Verfügbarkeit von Wasser wären so eher zu gewährleisten. Es ist die Studie, auf die sich Saleemul Huq in seiner Argumentation stützt. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die zwei Grad heute nur noch mit großen Bedenken haltbar. Aus politischer Sicht sind sie allerdings wohl nicht vermeidbar.

Zwei Gegner mit demselben Ziel

"2 Grad in den Vertrag zu schreiben ist schon schwierig genug."Ilka Wagner

Es gehört zu den Eigenheiten dieses Gipfels, dass er Menschen zu Kontrahenten macht, die eigentlich dasselbe Ziel haben: Genauso wie Saleemul Huq ist die Deutsche Ilka Wagner nach Paris gereist, um die Welt vor Wetter-Extremen zu bewahren, derer die Menschen nicht mehr Herr werden können. Doch allein wer sich im deutschen Pavillon umsieht, sieht, dass ihre Delegation zu einer anderen Bewertung gelangt ist als Saleemul Huq. „2 ° Below – Together we´ll make it“ steht über den großen Videowänden, in denen Menschen aus St. Lucia, Grenada und Nigeria davon erzählen, wie sie mit dem Klimawandel zurecht kommen.

Ilka Wagner arbeitet darauf hin, dass im Vertrag am Ende die Zahl 2 stehen wird. Das sei schon schwierig genug, sagt sie. Mit einem Beschluss von 1,5 Grad allein wäre den Menschen in den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Ländern auch nicht geholfen. Genauso wichtig sei, dass im Abkommen von Paris Maßnahmen beschlossen werden, die gerade den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Ländern zugute kommen.

Bei der Eröffnung des Pavillons am ersten Tag sagte die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks, es sei das erklärte Ziel der deutschen Regierung, die Erwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. „Höchstens“ kann auch bedeuten, dass die Erwärmung darunter stoppt. Gleichzeitig wolle sie die Weltgemeinschaft dazu zu bringen, engagierte Klimaschutzziele zu vereinbaren, sie regelmäßig zu verschärfen und genug Geld für die Länder zur Verfügung zu stellen, die sich gegen den Klimawandel wappnen müssen. So wird die deutsche Delegation versuchen, auch Saleemul Huq davon zu überzeugen, dass zwei Grad nicht das Ende bedeuten sollen, sondern einen Anfang markieren. Es sieht deshalb nicht danach aus, als könne Saleemul Huq auf die Unterstützung der Deutschen hoffen.

Das Ergebnis dieses Kampfes wird sich am Ende ausgerechnet in Artikel 2 des Vertrags wiederfinden. Dort ist sein Zweck festgeschrieben. Noch stehen im Entwurf beide Zahlen. Doch es ist wohl ein aussichtsloser Kampf, den Saleemul Huq führt. Er ist nichtsdestotrotz entschlossen. „Hinter der Forderung stehen 106 Länder“, sagt er. „Wenn das hier eine Demokratie wäre, würden wir uns durchsetzen.“ Saleemul Huq weiß, wie er so formulieren muss, dass seine Botschaften gehört werden. Das zumindest hat er nach 20 Gipfeljahren erreicht.

Zum Beitrag auf Tagesschau.de

Kai Schächtele
VJ: Max von Klitzing
Fotograf: Christian Frey

2 Kommentare zu
Der Feldzug des Saleemul Huq
  • Es ist sowieso schon zu spät.
    Wichtig ist, daß die Wirtschaft boomt – und jedes
    Jahr ein Plus zu verzeichnen hat.

  • C. Huebener schreibt:

    1,5 oder 2 Grad Celsius als durchschnittliche maximale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts? Beides sind politische Ziele, die mit der sehr wahrscheinlichen Realität Ende dieses Jahrhunderts kaum etwas zu tun haben werden. Wenn nicht bis 2020 die Verbrennung von Braunkohle, bis 2030 die Verbrennung von Kohle insgesamt, bis 2040 die Verbrennung von Oel und bis 2050 die Verbrennung von Gas weltweit gestoppt wird, wird die durchschnittliche Erwärmung eher bei 3 bis 4 Grad Celsius liegen. Die Industrie und die Regierungen zu vieler Länder gehen die Energiewende mit den Argumenten Kosten und Arbeitsplätze viel zu langsam an. Leider werden gerade die Industriestaaten die Folgen am wenigsten zu spüren haben.

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